Archiv der Kategorie: Digitale Unsterblichkeit

Logbuch vor Hamburg

cagentArtist
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ERINNERUNGS-BITS

Den Blick neu ausgerichtet auf Hamburg hängen noch viele Erinnerungsfetzen im Kopf. Das kann gut sein, das kann schlecht sein. Sie sind da. Wie diese sich auswirken werden, muss man sehen. Hier einige der Stichworte:

Mensch und Maschine

Ja, wir sehen als übergeordnetes Thema die Zukunft des Menschen angesichts digitaler Maschinen. Dass es die intelligenten Technologien geben wird ist eine direkte Folge des evolutionären Prozesses, in sich mit einem großen Potential, sagt man. Uns interessiert, wie man es für musikalische Interaktionen ausnutzen kann.

Staunen, Risiko

Mehr denn je ist der Klangraum jetzt unendlich.
Ihn zu betreten gleicht einer Reise ins Unbekannte.
Das Alte verschwindet deswegen nicht notwendigerweise, aber es bekommt neue Kontexte.

Die neuen Technologien sprengen viele vertraute Voraussetzungen.
Am Anfang ist das Staunen
Philosophische Poesie – eine poetische Philosophie

… eine Botschaft zu leben, die dem entspricht, wie das Leben auf dem Planeten Erde seit 4 Milliarden Jahren seine Existenz, seinen Weg sucht: morgen ist alles anders als heute! Keiner weiß wirklich wie es morgen sein wird. Die einzige Chance einer Zukunft für das Leben ist, das Heute weg zuwerfen und auf immer wieder neuen Wegen das Neue zu suchen. Das Neue ist ein Ganzes, dessen Ausmaß und Gestalt das individuelle Begreifen übersteigt.

Echtzeitexperiment zwischen Wort-angereichertem-Klangfeld in Interaktion mit dem Hörer.

Technologie als Interface zum Klang

Jede Technologie, die zum Interface wird, ist nicht nur Möglichkeit, sondern auch Grenze, schlimmstenfalls eine Art Gefängnis. die möglichen Klänge sind auch die einzigen Klänge. Man kommt aus dem Interface-Raum nicht mehr heraus. Man kann sich darin austoben. Die Frage ist nur, wie wirkt dies auf die potentiellen Hörer?

Aber die klassischen Instrumente, die klassischen Orchester waren auch nur Schnittstellen, ein Interface zu möglichen Klängen; sie schufen scharfe Grenzen. Wer es mag, fühlt sich wohl, aber Grenzen waren da.

Wir interessieren uns für solche Klangräume, die nur in der Symbiose von neuer Technologie und Mensch möglich sind.

Worte, Texte

Klang als solcher hat keine direkte Beziehung zu Texten oder durch Texte induzierte Bedeutungen. Diese Beziehung kommt indirekt durch Hörer ins Spiel: jeder Hörer hat aufgrund der Sprachen, die er gelernt hat, nicht nur bestimmte Klänge, die sich mit seinem Sprechen verbinden, sondern darüber hinaus auch bestimmte Bedeutungen, die sich in seinem Kopf automatisch aktivieren, wenn er selber spricht oder gesprochene Sprache hört. Aktivierte sprachliche Bedeutung im Kontext gesprochener Sprache interagiert dann mit gehörten Klängen.

Die Grundsatzentscheidung liegt also schon im Vorfeld: (i) gesprochene Sprache und Klang ohne visuellen Elemente oder (ii) gesprochene Sprache mit visuellen Elementen; visuell nochmals unterschieden nach statischen Einzelbildern oder bewegten Bildfolgen. Hier nochmals unterscheidbar nach live gespielt (Theater) oder elektronisch aufgezeichnet (Video, Film). Vom einfachen Lied zum komplexen situierten Spiel (Theater, Oper…) gibt es viele Varianten.

Die Frage bleibt: was will man erreichen? Will man mittels der Sprache und der induzierten Bedeutung primär nur informieren (aufklären) oder will man über die Information hinaus auch unterhalten bzw. emotional engagieren?

Wahres Neues

Wahre Kunst braucht einen minimalen Grad an Originalität, Kreativität, Innovation, um dem Andruck der Zukunft Raum zu geben. Dies geht normalerweise nicht ohne ein Minimum an Nicht-Gefälligkeit einher, ein Minimum an Reibung und Aufwand von Neuem. … was aber ist ’neu‘ bei so vielen Unterschieden in den Menschen?

Mit der Digitalisierung der Gesellschaft durch neue Technologien verwandelt sich das alltägliche Leben immer mehr in digitalisierte Repräsentationen, in Digitalisate.
Im Digitalisat braucht das Gehirn keine Rücksicht zu nehmen auf die Endlichkeiten seines biologischen Körpers: keine Müdigkeit, kein Hunger, kein Altern, keine Ängste, keine unvorhersehbaren Gefahren, kein …. die unendliche Fülle der körperbasierten Gefahren ist ausgeblendet … Dies kann neue Gefühle von Allmacht erleichtern. Ein Traum ohne Ende ….

Die vernetzte Maschine wird zur potentiellen Erweiterung des Körpers, zur Erweiterung des Gehirns, zur Erweiterung des Bewusstseins. Der eigene Körper dehnt sich aus … neue Formen von Begegnung und Gemeinsamkeit.

In den Digitalisaten vervielfältigt sich das Leben Millionenfach, Milliardenfach.

Das biologische Leben ist das künstlerische Urereignis par excellence, das Schaffen von Neuem, nicht die Eitelkeiten einzelner Kunstfertiger, nicht die Willkür von Kunstmärkten …

BLICK NACH VORNE

Im Titel ‚Digitale Unsterblichkeit‘ klingt das Thema einer Überwindung der Sterblichkeit an, eine Überwindung des Todes … Das Digitale erscheint der Verwesung entrückt, fern dem biologischen Zerfall.

Doch leider altern auch Rechner, Platinen verrotten, Datenträger werden unlesbar, Programmiersprachen sterben aus, Betriebssysteme verändern sich,  Feuer und Wasser können zerstören, Bombenanschläge,  Erdbeben, Kriege bieten weitere Risiken; eine Firma geht pleite, der Staat zerfällt … der Strom versiegt … das Digitale lebt noch nicht im Elysium, ist noch nicht direkt im Paradies angesiedelt.

… und doch sind viele Menschen fasziniert … und übersehen möglicherweise, dass Krankheiten, Altern, Sterben nur möglich sind, weil das Gesamtsystem nicht vollständig deterministisch ist.

Wenn man Krankheiten und Tod von vornherein ausschließen wollte, dann müsste man den ‚idealen Zustand‘ kennen und sämtliche Prozesse genau darauf hin optimieren, zwangsweise, damit nichts schief geht.

Woher soll das gesamte Universum ‚aus sich heraus‘ aber die idealen Zustände für alle Lebensformen kennen? Befindet sich doch das gesamte Universum in Bewegung, findet das Universum als ein Prozess statt, der aus sich immer neue Strukturen heraus setzt, die bei ihrer aktuellen Entstehung keinen vollständigen Plan haben, wo das ganze wie enden soll.

Wenn eine biologische Zelle, der universale Grundbaustein allen biologischen Lebens, sich vermehrt, weiß sie von der zukünftigen Welt nur das, was bislang funktioniert hat; sie weiß aber niemals, was auf sie zukommen wird.  Aus diesem Grund passiert bei ihrer Neuwerdung ein interessantes Schauspiel: sie nutzt die positiven Erfahrungen der Vergangenheit und zugleich lässt sie Variationen zu, neue Kombinationen, von denen sie nicht weiß, ob sie sich positiv oder negativ auswirken.

Leben ist in seiner Wurzel nie nur Erinnerung des Alten, sondern immer bis zu einem gewissen Grad auch eine Wette auf eine unbekannte Zukunft. Man kann diese Möglichkeit des Neuen gegenüber dem bekannten ‚Zufall‘ nennen, weil man keine Regel erkennen kann; man kann es aber euch eine Grundform von ‚Freiheit‘ nennen: das, was kommen wird, ist NICHT vollständig determiniert. Echte Freiheit wirkt von außen als ‚Zufall‘, weil man keine Regel erkennen kann.

Und, ein ganz anderer Aspekt, wir schauen immer sofort auf den einzelnen, das Individuum. Im biologischen Leben geht es aber niemals nur um Individuen, sondern um Populationen. Jeder einzelne existiert nur, weil es vor ihm andere einzelne und viele Populationen gab und gibt, die sein Leben ermöglichen. Was durch alle Zeiten hindurch lebt, überlebt, das ist das Zusammenspiel der vielen Einzelnen in einer Lebensgemeinschaft, die auch dann weiterlebt, wenn viele einzelne sterben. Ohne die einzelnen ist die Gemeinschaft nichts, aber ohne die Gemeinschaft kann das Leben nicht überleben. Es ist die gemeinsame Erfahrung aller, die sich im Spiel hält und — hoffentlich — immer wieder neu bewährt und weiter entwickelt.

Betrachten wir die digitale Unsterblichkeit also mal aus dieser Perspektive: das Wechselspiel von Gemeinschaft und Individuum, umrahmt, eingebettet von neuen digitalen Technologien. Kann dies zu einer fruchtbaren Symbiose führen? Kann dies mehr Leben ermöglichen oder hebt sich das Leben hier irgendwann selbst auf?

Demnächst: musikalische Simulationen von Leben…

PHILOSOPHY-IN-CONCERT No.2 – Performance 1.November 2016 – DIGITALE UNSTERBLICHKEIT – Dokumentation

Entsprechend der vorausgehenden Ankündigung fand am 1.November 2016 die Performance No.2 des PHILOSOPHY-IN-CONCERT Projektes statt. Oberthema: Digitale Unsterblichkeit. Veranstalter waren die Katholische und die Evangelische Akademie Frankfurt zusammen mit dem Institut für Neue Medien (INM) Frankfurt. Ausführende Künstler: cagentArtist und acrylnimbus.

Voraus zur Veranstaltung gab es Gespräche zwischen Dr. Ralph Fischer von der Evangelischen Akademie, Dr. Daniela Kalscheuer und Prof. Dr. Gerd Doeben-Henisch (Frankfurt University und INM). Es zeigte sich, dass das Thema in viele Richtungen sehr ergiebig ist. Das Problem war dann eher, wie man diese Vielfalt in ein knappes, schlüssiges Konzept kondensieren kann.

Als Rahmen wurde ein Baukastensystem gewählt: nach einem offenen Empfang zunächst eine Philosophy-in-Concert Performance, dann ein Podium mit Experten, dann offenes Gespräch mit allen. Dazu ein passendes Ambiente.

Vorweg: die Veranstaltung verlief sehr gut: viele engagierte TeilnehmerInnen, Performance kam gut an, Podium und Gespräch sehr konzentriert. Schwachstelle: Null Dokumentation… Das macht einen Bericht jetzt schwierig.

Von der ersten Hälfte der Perfomance gibt es einen Soundtrack mit Texten, der zum Testen vorher benutzt worden war: http://www.doeben-henisch.de/sounds/exp1/Pic Nov16 p1-neu.mp3

Tobias mit seinem kritisch-sinnierendem Blick ...
Hier ein Archivbild von Künstler acrylnimbus von der Performance No.1; er hat bei No.2 den gesamten Soundtrack generiert (außer einem kleinen Abschnitt am Anfang)

Es folgte dann ein Liveact, in dem cagentArtist die Frage aufwarf, was all die Menschen machen können, die gestorben sind, bevor es die digitale Unsterblichkeit gab. Es wurde spekuliert, welche Möglichkeiten Goethe, ein Sohn der Stadt, hätte, wenn er heute als digital Lebender zu uns sprechen wollte. Da www.goethe.de vom Goetheinstitut besetzt ist, fragt sich, was er tun könnte. Es wurde live the Seite http://www.ehteog.de/ ausprobiert, und siehe da ….

Angesichts der Beschwerlichkeiten, denen normale Menschen unterworfen sind, die digital unsterblich werden wollen, stellt sich die Frage, ob man nicht körperliche Geburt und körperlichen Tod einfach umgehen sollte, indem man direkt digital geboren wird? Dann erspart man sich all die körperlichen Mühen und lebt direkt digital und damit direkt digital unsterblich. Solche digitalen Existenzen gibt es. In einem Live Act begann eine kleine Reise im Internet nach Japan, in die Provinz Kansai, zu einem Konzert der digitalen Künstlerin Hatsune Miku: https://www.youtube.com/watch?v=Sw84CDr_CZs (es wurde nur ein kleiner Ausschnitt gezeigt)(etwa von 2:00 Min bis 5:12 Min) Während die Band, die anderen Musiker, real auf der Bühne stehen, ist die digitale Künstlerin, wie es sich gehört, eine reine Projektion aufgrund von digitalen Daten. Der Stimmung muss darunter offensichtlich nicht leiden (siehe Video).

Vom nachfolgenden Sound mit Texten gibt es hier wieder ein Pre-Recording: http://www.doeben-henisch.de/sounds/exp1/Pic Nov16 p2-neu.mp3

In der Performance folgte ein abschließender Live Act mit Gedanken zu einer Rede, die William James zur Unsterblichkeit  1898 an der Harvard University gehalten hat. Die damals vielleicht kühn anmutenden Überlegungen vom Empiriker William James, der zugleich die Vielfalt der Phänomene ernst nahm, wurde durch ein Diagramm zur Komplexität des homo sapiens im Licht der heutigen Wissenschaften unterstützt.

Bild zur Komplexität und Surchlässigkeit eines homo sapiens. Es gibt physikalisch keine feste Begrenzung.
Bild zur Komplexität und Durchlässigkeit eines homo sapiens. Es gibt physikalisch keine feste Begrenzung.

Es folgt dann ein lebhaftes Podiumsgespräch zwischen (siehe Foto von links nach rechts) Dr. Fischer von der Evangelischen Akademie Frankfurt, Prof.Dr.Trocholepczy (Dekan der Katholischen Theologie Frankfurt), BA IngInf. MA.Sc. Intelligente Systeme Zeynep Tuncer, sowie Prof. Dr.phil Dipl.theol Gerd Doeben-Henisch (Frankfurt University of Applied Sciences), Schwerpunkt Lernende Systeme und Mensch-Maschine Interaktion. Mangels Dokumentation können die Dialoge hier nicht wieder gegeben werden. Das Publikum ging jedenfalls sehr mit und man merkte, dass die neuen Entwicklungen dazu drängen, manche alte Positionen neu zu bedenken.

Von links nach rechts: Fischer - Trocholepczy - Tuncer - Doeben-Henisch
Von links nach rechts: Fischer – Trocholepczy – Tuncer – Doeben-Henisch

Es folgten dann noch zahlreiche lebhafte Einzelgespräche, bis der Abend dann ausklang.